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Gerichtlich angeordnete Auflösung der Gesellschaft trotz Aktivenüberschuss

Die Organisation einer Aktiengesellschaft muss Gesetz und Statuten entsprechen. Es sind sämtliche (gesetzlich oder statutarisch) vorgeschriebenen Organe der Gesellschaft zu bestellen und richtig zusammenzusetzen. Der Verwaltungsrat hat weiter zu gewährleisten, dass er das Aktienbuch und das Verzeichnis über die wirtschaftlich Berechtigten vorschriftsgemäss führt und die Gesellschaft an ihrem statutarischen Sitz ein Rechtsdomizil besitzt.

Liegt bei der Gesellschaft ein Organisationsmangel vor, so kann ein Aktionär, ein Gläubiger (Art. 731b Abs. 1 OR ) oder der zuständige Handelsregisterführer (Art. 939 Abs. 1 und 2 OR) beim Richter am Sitz der Gesellschaft beantragen, erforderliche Massnahmen zu ergreifen.

Art. 731b Abs. 1 OR sieht hierfür verschiedene Massnahmen vor. Der Richter kann der Gesellschaft unter Androhung ihrer Auflösung eine Frist ansetzen, binnen derer der rechtmässige Zustand wieder herzustellen ist (Ziff. 1), das fehlende Organ oder einen Sachwalter richterlich ernennen (Ziff. 2) oder die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anordnen (Ziff. 3). Dieser Massnahmenkatalog zur Behebung des Organisationsmangels ist nicht abschliessend (BGE 136 III 369, S. 371, E. 11.4.1).

Die Behebung von Organisationsmängeln steht im Interesse eines funktionierenden Rechtsverkehrs und kann die Interessen von unterschiedlichen Anspruchsgruppen der Gesellschaft berühren, die zwar unter Umständen nicht als Partei am Verfahren nach Art. 731b OR beteiligt sind, deren Interessen aber dennoch vom Entscheid des Richters betroffen sind (bspw. Arbeitnehmer oder Aktionäre). Um diese Interessen ausreichend zu wahren, ist der Richter nicht an die Anträge der Parteien gebunden. Das Gesetz räumt dem Richter ein erhebliches Ermessen ein.

Cette disposition entend laisser au juge une grande latitude pour remédier aux carences d’organisation, quitte à devoir s’écarter des conclusions de la partie requérante.

(BGE 138 III 166, S. 172 f., E. 3.9)

Unter Achtung der Verhältnismässigkeit kann der Richter die Gesellschaft auflösen und ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs anordnen (Art. 731b Abs. 1bis Ziffer. 3 OR). Das Liquidationsverfahren wird  durch das Konkursamt am Sitz der Gesellschaft nach den Regeln des Konkursverfahrens (Art. 221 ff. SchKG) geführt. Dieses erfolgt jedoch nicht, weil der Konkurs über die Gesellschaft eröffnet wurde, sondern in Ausführung des gerichtlichen Auflösungsbeschlusses. Art. 731b OR begründet keinen Konkursfall. Die Bestimmungen des SchKG finden nicht direkt, sondern nur sinngemäss Anwendung auf das Liquidationsverfahren. Schliesslich erfolgte der Auflösungsbeschluss durch den Richter aufgrund einer mangelhaften Organisation und nicht aufgrund Insolvenz oder Überschuldung der Gesellschaft. Das Auflösungsurteil nach Art. 731b OR sagt nichts über die finanzielle Lage der Gesellschaft aus.

Das hält das Bundesgericht ausdrücklich in einem aktuellen Entscheid fest (BGer 5A_665/2021, Arrêt du 28 janvier 2022). Aus diesem Grund findet auch Art. 195 SchKG keine Anwendung, wenn das Liquidationsverfahren aufgrund eines Organisationsmangels eröffnet wurde. Diese Bestimmung ermächtigt das Konkursgericht unter vorbestimmten Voraussetzungen, auf Antrag des Schuldners den Konkurs zu widerrufen und dem Schuldner das Verfügungsrecht über sein Vermögen zurückzugeben.

Le juge de la faillite reste compétent pour toute décision au cours de la procédure de faillite que lui attribue la loi, sauf la révocation de la faillite étant donné que celle-ci n’a jamais été ouverte.

BGer 5A_665/2021, Arrêt du 28 janvier 2022

Es stellt sich somit die Frage, wie zu verfahren ist, wenn aus den Liquidationshandlungen ein Aktivenüberschuss der aufgelösten Gesellschaft resultiert. Übersteigt ein Verwertungserlös nach Deckung der Liquidationskosten sämtliche Gläubigerforderungen mitsamt Zinsschulden, so steht ein entsprechender Aktivenüberschuss zivilrechtlich dem Schuldner und sinngemäss somit der Gesellschaft zu. Im Falle einer Aktiengesellschaft haben ihre Organe über die Verteilung dieser Finanzmittel zu entscheiden. Die Organe der Gesellschaft erlangen in diesem Umfang ihre Verfügungsbefugnisse an diesen Mitteln zurück. Das Konkursamt selber ist nicht zu einer Auszahlung an die Aktionäre berechtigt, da die gesetzliche Grundlage des SchKG nur die Verwertung und Auszahlung an die Gläubiger regelt. Das Konkursamt kann den Aktivenüberschuss nur bei der Depositenanstalt hinterlegen (Art. 264 Abs. 3 SchKG sinngemäss).

Ein Widerruf des Auflösungsbeschlusses analog Art. 195 SchKG hat das Bundesgericht in seinem Entscheid ausgeschlossen. Doch wer verfügt über einen Aktivenüberschuss, wenn die Gesellschaft wegen fehlender Exekutivorgane gerichtlich aufgelöst wurde? Zumindest müsste es den Aktionären der Gesellschaft möglich sein, auch nach Rechtskraft des Auflösungsurteils das Exekutivorgan neu zu besetzen, denn offensichtlich enden dessen Aufgaben noch nicht mit Rechtskraft des Auflösungsurteils.

Handeln Sie daher besser vorher und vermeiden Sie als Organ einer Gesellschaft einen Mangel in deren Organisation nach Art. 731b OR oder beseitigen Sie diesen fristgerecht.

 

Haben Sie weitere Fragen? Das HütteLAW-Team berät Sie gerne.

 

Author: Christian Bernegger

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